50 Jahre Filmklasse - „Drei Fragen“ an Prof. Michael Brynntrup

Worin besteht aus Ihrer Sicht die besondere Geschichte und Strahlkraft der Filmklasse und wie spiegelt sich dieses im Jubiläumsprogramm wider?

Die Filmklasse hat über all die Jahre an ein paar Prinzipien festgehalten – sie hat Haltung bewiesen. Dazu zählt zum Beispiel, den Experimentalfilm als Teil der Bildenden Kunst zu begreifen, auch wenn die Filme, die hier entstehen, im Wesentlichen für die große Leinwand gedacht sind, also ihren Platz eher in einer Kinosituation haben. Im Umfeld der Bildenden Kunst wird Film natürlich als Ausdruck einer Künstler*innenpersönlichkeit verstanden, das heißt aber auch, dass die Arbeiten in gesellschaftliche, kollektive Themenfelder eingebettet sind. Gerhard Büttenbender, der erste Professor der Filmklasse, nannte das „Befreiung aus dem Getto von Entfremdung und Isolation“. Birgit Hein, die von 1990 bis 2007 die Klasse wesentlich prägte, betonte ebenfalls die politische Wirkungskraft des Mediums und vertrat als Künstlerin eine radikal-körperbezogene Position: Film darf auch weh tun. Solche Linien werden in der Filmklasse bis heute fortgeführt: Die Studierenden sollen durchaus bis an ihre Grenzen gehen, Themen aufgreifen, die sie nicht nur berühren, sondern auch betreffen. Sagen, was gesagt werden muss. Dabei stehen das bildkünstlerische Experiment und die lange Tradition des Experimentalfilms Pate: Von den Techniken des Analogfilms bis hin zu den computergenerierten KI-Bildwelten von heute; von den spielerischen Ansätzen aus der Frühzeit des Kinos bis zu den gezielten Provokationen des Underground-Cinemas. Das Bild sagt mehr als tausend Worte, und 24 Bilder pro Sekunde und ein kalkulierter Filmschnitt potenzieren das. Die Strahlkraft der Filmklasse liegt wohl darin, dass sehr persönliche und sehr authentische Filme in der übergroßen Bilderflut dieser Tage immer noch als außergewöhnlich erkennbar sind.

An welchen herausragenden Projekten hat die Filmklasse bisher gearbeitet und gibt es Ideen oder Vorhaben für künftige Projekte?

Aus meiner Studienzeit in der Filmklasse erinnere ich ein größeres Projekt mit Udo Kier, der damals noch nicht die internationale Berühmtheit hatte, die er durch zahlreiche Hollywoodfilme bekam. Birgit Hein hatte ihn aus Köln mitgebracht, und wir jungen Studierenden (darunter Matthias Müller und Björn Melhus) durften uns an einem sehr exzentrischen Charakter abarbeiten. Kurz nach meiner Berufung habe ich den Studierenden von meinem Werdegang berichtet und von dem wichtigen Einfluss, den ich durch die Mitarbeit bei der Gründung des Interfilm-Festivals in Berlin erhielt. Anfangs war es ein Festival von Filmemacher*innen für Filmemacher*innen. Mein Bericht hat die Studierenden sofort motiviert, auch ein Festival zu starten: das AnaDoma-Festival. Zwei Mal, 2008 und 2010, kamen jeweils über 60 junge Filmemacher*innen für vier Tage nach Braunschweig; es gab Projektionen und Medienkunst-Ausstellungen in der Stadt. Das Filmstudio wurde zum Schlafsaal und es wurde ein großes Fest gefeiert mit vielen Begegnungen, Filmgesprächen, Diskussionen und vielen neuen Kontakten. Das AnaDoma-Festival poppt über die Jahre immer mal wieder mit einzelnen Veranstaltungen auf, so auch jetzt im Jubiläumsprogramm im Filmforum.

Andere größere Projekte der Filmklasse sind die Exkursionen, oft nach Fernost. Die Exkursionen werden ausführlich vorbereitet, vor Ort gibt es Workshop-Projekte mit Studierenden unserer Partnerhochschulen und auch anschließend gibt es anhaltenden Nachklang durch das Sammeln und Sortieren und das Ausstellen der fotografischen und filmischen 'Souvenirs'.

In den jüngsten Semestern sind mehrere 'Kollektivfilme' entstanden. Das sind Filme mit speziellen, gemeinsam ausgesuchten, thematischen oder formalen Vorgaben, zu denen die Studierenden einen sehr kurzen, spontanen Beitrag beisteuern. Vielleicht wird es sogar eine Neuauflage des AnaDoma-Festivals geben. Eine nächste Groß-Exkursion ist in Sichtweite. Und natürlich ist das jetzige Jubiläum ein ganz eigenes Projekt: Alumni präsentieren Filmbeispiele ihrer Jahrgänge aus dem 1000 Filme umfassenden Filmarchiv der Filmklasse; so treffen zum Beispiel 70-jährige Alumni auf die aktuell Studierenden. Das Jubiläums-Programm soll im Sommersemester 2024 fortgesetzt werden.

Schon bald, vom 6. – 11. November, findet wieder das Internationale Filmfest Braunschweig statt. Zu den Gründer*innen 1987 gehörte auch die Filmklasse der HBK Braunschweig. Können Sie beschreiben was damals die Intention dafür war und wie sich der langanhaltende Erfolg des Festivals erklären lässt?

Die Filme, die in der Filmklasse entstehen, suchen natürlich ein interessiertes Publikum, das sich auf die Bilder auch wirklich konzentriert einlässt. Da sind Festivals eine erste Adresse. Dort werden neue Entwicklungen und Tendenzen präsentiert, und dort ist auch die Offenheit für ungewöhnliche Stoffe und Visionen. Mit dem Filmfest Braunschweig verbindet die Filmklasse insofern eine lange Tradition. Natürlich steht ein immer größer werdendes Festival in besonderer Verpflichtung gegenüber den immer bedeutenderen Sponsoren, die vor allem die Besucherzahlen im Blick haben. Insofern bin ich froh, dass dort eine Nische für den 'besonderen' Film erhalten bleibt und in diesem Jahr sogar in einem neuen Format erprobt wird: An einem eigenen Hochschultag werden die Filme der Filmklasse mit anderen Arbeiten niedersächsischer Hochschulen gemischt. Dann wird sicherlich klar, was die sehr persönlichen, nicht-konventionellen, künstlerischen Arbeiten der Filmklasse auszeichnet. Auch dies ist ein spannendes Experiment und kann zu interessanten Begegnungen und Diskussionen führen. Der Erfolg des Braunschweiger Filmfests liegt wohl darin, dass das breite Spektrum des Films in all seinen Varianten präsentiert wird. Und die Filmklasse ist froh, dass sie als ein Extrem in dieser Bandbreite mit dabei ist.

Die Fragen stellte Brigitte Kosch

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