„Wir traten in einen Austausch mit der Historie und der aktuellen Kunstszene Neapels“

„Drei Fragen“ an Frances Scholz:

Wie ist das Ausstellungsprojekt entstanden und was hat Sie daran besonders gereizt?

Federico Del Vecchio, Künstler und Kurator von Flip Project aus Neapel, beschreibt unsere erste Begegnung und seine spontan daraus resultierende Einladung in seinem Ausstellungsraum, einer Kapelle im Zentrum von Neapel auszustellen, wie folgt:

A multifaceted and energetic group of young artists engaged Flip Project in dialogue and discussion during drinks and as a reaction to their brief affair with Naples I asked them to do a show.

Unser auf ihn übergegangener Enthusiasmus entstand aus den Besuchen archäologischer Stätten wie dem Herculaneum, Pompeji und dem einzigartigen Archäologischen Nationalmuseum Neapel. Und auch aus dem Staunen über das - mit Bildern und Artefakten des Airbnb-Vermieters überladenen - Apartment der Studierenden in Neapel.

Die Direktheit dieser Situation war ungemein inspirierend. Wir traten in einen Austausch mit der Historie und der aktuellen Kunstszene Neapels. Parallel transformierten wir die vor Ort gemachten Erfahrungen in vielfältige künstlerische Formulierungen wie Malerei, Skulptur, Zeichnung, Wandarbeit, Video, Texte, Performances und Lesungen, um diese zurück in die vibrierende Stadt fließen lassen zu können.

Welche Herausforderungen kamen auf Sie zu, wie haben Sie sie gemeistert und wobei haben Sie Unterstützung erfahren?

Die erste Herausforderung war die Zeit. Sie bestand darin innerhalb von drei Tagen unsere Ausstellung Apartment Named Desire (A.N.D.) in der Kapelle und dem gemieteten Apartment für die Öffentlichkeit zu eröffnen. Während wir tagsüber nicht aufhörten, historische und zeitgenössische Orte Neapels und ihrer Umgebung zu erkunden, blieb meist nur die Nacht, um die künstlerischen Arbeiten zu entwickeln.

Die zweite Herausforderung bestand darin, den Teil der Klasse, der aus unterschiedlichsten Gründen - oft finanziellen - nicht an der Exkursion teilnehmen konnte, von der Erfahrung nicht abzuspalten und den Zusammenhalt der Gemeinschaft zu erhalten.

Aus den Reihen der Daheimgebliebenen kam der kraftvolle Vorschlag, die Kapelle in unserem Klassenatelier nachzubauen als verbindendes kollaboratives Element während der Open Studios 2023.

In Neapel kam die Unterstützung für ein professionelles Gelingen des Projektes von allen Seiten. Dank der Vernetzung von Federico Del Vecchio war die Eröffnung der Ausstellung sehr gut besucht und erhielt viele Reviews. Werkstätten druckten günstig und kurzfristig unsere Arbeiten, ein Restaurant lieferte köstliches Essen zur Eröffnung, zu der die mondäne Bar nebenan uns hostete und Drinks spendierte.

Firmen aus Braunschweig und Umgebung haben teils Materialien auf Anfragen der Studierenden gesponsert. Und eine kleine Dokumentation unserer beiden Ausstellungen wird von der Hochschule gefördert.
Auf die Genehmigung der beantragten, unserer im Akronym des Titel A.N.D. angelegten Fortsetzung des Projektes, warten wir noch.
Wir sind eingeladen in der oqbo Galerie, Berlin im August/September 2023 auszustellen und möchten andere Fachbereiche in dieses Vorhaben integrieren, um die angelegte integrative Haltung weiter zu erkunden.

Was macht das Ausstellungsprojekt aus und worin sehen Sie eine mögliche gesellschaftliche Relevanz?

Das Ausstellungsprojekt entspringt unserer Exkursion nach Neapel, einer der ältesten historischen Orte der Welt und steht in Verbindung mit der tiefen Vergangenheit der Kunstgeschichte.
Ihm liegt eine eigene Dynamik zu Grunde. Wir erlebten, wie der neugeschaffene Ort der Kapelle sich unvorhersehbaren Themen, tiefen Belangen und somit einem Geflecht des sozialen Austauschs öffnet.

Ich bin erinnert an Speakers‘ Corner im Hyde Park in London. Hier darf ohne Anmeldung ein Vortrag, eine Rede zu einem beliebigen Thema gehalten werden. Die Kapelle zog Studierende der HBK an, getriggerte Texte zu performen, Dinge zur Sprache zu bringen die bisher noch keinen Ausdruck gefunden hatten, Perfomances, Musik oder rituelle Handlungen vorzunehmen. Ein Ort der Versöhnung, Sehnsucht aber auch des Schmerzes, des Disputs und der offenen Kritik.

Speziell für unsere Klasse war es ein integratives, verbindendes, trotz oder gar wegen des großen Energie- und Willensaufwands, eine Gemeinschaft schaffendes Projekt, innerhalb dessen Glaubensfragen und Wertesysteme untersucht werden konnten.
 

Dem materialaufwendigen Bau der Kapelle ging eine wichtige Diskussion über Nachhaltigkeit voraus.
Geplant ist, alle Materialien in der oqbo Galerie, Ausstellung in Berlin wiederzuverwerten und die Elemente völlig neue Inhalte und Formen annehmen zu lassen. Dabei ließe sich festhalten, dass die Begriffe von Materialien und Elementen nicht ganz greifen, da sich die Kapelle aus einzelnen künstlerischen Arbeiten konstituiert und die „Architektur“ keinen Raum für Applikationen geschaffen hat.

Die Ausstellung im Airbnb Apartment fand ein Äquivalent in meinem Dienstatelier und führte den in Neapel begonnenen Dialog zwischen zwei so unterschiedlichen Orten wie dem privaten und öffentlichen Raum in Braunschweig fort.

Wir fragen, wohin führt uns das Projekt, in dem eine angelegte Wiederholung, neben einem Stillstand der Zeit, Raum öffnet und Stille schafft und mit den aus Neapel mitgenommen Betrachtungsweisen, die die Unterscheidung von Real und Fake, Kopie und Original irrelevant erscheinen lassen und neue Realitäten schaffen.

Dieses Klassenprojekt wurde währen der Open Studios Anfang Februar 2023 präsentiert.

Video vom Aufbau

Das Interview führte Brigitte Kosch, Pressestelle HBK Braunschweig

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